Montag, 04. November 2013 Schlagwörter: ,

Andacht: Dennoch

„Dennoch bleibe ich stets an dir, denn du hältst mich bei meiner rechten Hand.“ (Psalm 73, 23)

Unbeschwert und fröhlich sitzen Kinder unseres Jona-Kindergartens beim Erntedankgottesdienst mit den Erzieherinnen vorne in der Kirche und werden gleich ihr Danke-Lied singen. „Beneidenswert“, mag mancher von Ihnen denken, wenn Sie sich noch einmal das Titelbild unseres Gemeindebriefes ansehen. „Kinder können Freude und Dank so unmittelbar ausdrücken. Sie sind so unbeschwert.“

Mancher Erwachsener hingegen tut sich schwerer mit dem Loben und Danken. Das Leben hat sich ihm möglicherweise nicht immer freundlich gezeigt. Vielleicht ist das eigene Kind auf die schiefe Bahn geraten, obwohl man sich doch so gekümmert hat. Oder jemand erhält die ­Diagnose einer schweren Krankheit, obwohl man doch so gesund lebt. Eine Dritte steht vor dem Scherbenhaufen ihrer Ehe, obwohl man doch alles versucht hat, die Beziehung zu halten. Da bleiben einem schon mal Lob und Dank in der Kehle stecken.

Dem Beter eines uralten Gebetes geht es ähnlich. Schlimmes ist ihm widerfahren, Unerträgliches ist ihm aufgebürdet worden.

Wegen eines überraschenden Wortes, das der Beter dann spricht, ist dieser 73. Psalm mir einer der tröstlichsten: „Dennoch“, betet er. „Dennoch bleibe ich stets an dir, Gott. Allen Widerwärtigkeiten, allem Schmerz, aller Trauer zum Trotz bleibe ich bei dir, und du hältst mich, Gott.“

Der Beter findet seine Zuversicht darin, dass er Gott nahe ist, dass er sich zu Gott hält, dass Gott ihn – auch in den Abgründen des Lebens – an seiner Hand führt.
Eine Frau, die mit diesem Gottvertrauen gelebt hat, war die Schriftstellerin Hilde Domin. Sie wurde 1909 in Köln als Hilde Löwenstein geboren und ist 2006 in Heidelberg verstorben. Sie studierte Soziologie und Philosophie, lebte von 1932 bis 1939 in Italien, dann in Großbritannien, in Santo Domingo und den USA, war tätig als Übersetzerin, Fotografin und Dozentin. 1954 kehrte die spätere Trägerin mehrerer Literaturpreise nach Deutschland zurück. Die Erfahrungen des Exils prägen ihre Lyrik. „Dichterin des Dennoch“ wurde die Jüdin Hilde Domin genannt.

„Federn lassen und dennoch schweben, das ist das Geheimnis des Lebens“, Hilde Domin

Dieser Satz, der Inbegriff einer Trotzkraft, ist vielleicht so etwas wie eine Zusammenfassung des Lebens dieser bemerkenswerten und erfrischenden Dichterin. Ich muss als vom Leben „gerupfter“ Mensch nicht abstürzen. Ich kann „dennoch“ schweben.

Dieses „dennoch“ ist mächtiger als die Frage nach dem „Warum“ des Leides. Es hält daran fest, dass das Leben stärker ist. Der Psalmbeter vertraut darauf, dass Gott einer ist, der zum Leben befreit und allem, was Leben behindert und verhindert, widerspricht. Er vertraut darauf, dass Gott ihn geleitet, gerade auch in den finsteren Tälern unseres Lebens.

Vogel

Nicht müde werden
sondern dem Wunder
leise
wie einem Vogel
die Hand hinhalten

Hilde Domin

 

„Dennoch“ sagen zu können,
wünscht Ihnen
Pfarrerin Imke Philipps